1/Wie die Sprache nicht verlieren?

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15. Juni 2018Juliane Noßack
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Ausgangsfragen

Wie hat sich das Arbeiten mit Sprache verändert durch die Entwicklung der letzten Jahre? Wie können Autor_innen politisch auftreten? Wie mit Rechten reden, wie mit Linken reden?

Lasst uns Neues entwickeln – die Form ist offen!

Input von Olga Flor

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Die Ängst verschiebt sich immer mehr zur Wut. Es gibt verschiedenen Komponenten von Angst. »Ich bin der Meinung, dass man reden muss!« Aber wen erreicht man damit? Alle zwei bis drei Generationen wird vergessen, was Krieg und Zerstörung bedeutet. Jeder einzelne Mensch ist für ökonomischen Erfolg zuständig, das schürt die Angst. Marginalisierte werden weiter unterdrückt, weil eine Revolution in der Luft liegt, die den Populist_innen Angst macht. »Als Gegengift zur Angst wird Neid gehandelt.« Wörter, die von Populisten verwendet werden, genau untersuchen. Es gibt sie, die große Gruppe von Menschen, die erreichbar ist – wir müssen auf sie zugehen.

Wir brauchen vielmehr eine Sprache der Emotionen und nicht der Gefühligkeit.

Frage: Geht Sprache für euch verloren?

Nein, aber ich rede nicht mehr mit manchen Verwandten, weil ich müde geworden bin.
Ich würde immer wieder mit den reaktionären Verwandten reden. Ich habe vielmehr ein Problem, mich in einer homogenen Gruppe zu äußern. Mir fehlt die Sprache in dieser Bubble.

Frage: Wie kann man im internen Kurs noch sprechen?

Angst vor Verlust der Sprache.
Hemmungen, eine gewisse Sprache zu nutzen: Es erschreckt mich einfach, dass das Potenzial der populistischen Sprache auch in meinen Texten vorhanden ist.

Frage: Wie funktioniert narzistische Sprache und wie können wir sie aufbrechen?

Wir müssen Begriffe ganz genau unter die Lupe nehmen und klar unterscheiden zwischen Angst, die diffus ist, und der Furcht, die zielgerichtet funktioniert.

Hilft ein kritisches Glossar der Begrifflichkeiten?

Wichtige Begrifflichkeiten sollten schon in der Grundschule vermittelt, die Bildung nicht den PayTV-Sendern und Gratiszeitungen überlassen werden.

Frage: Erreicht man durch die Wahl anderer Formen andere Menschen?

In den letzten Jahren gibt es eine Gegenbewegung zum literarischen Mainstream, aber formale Experimente stehen immer in Konflikt mit der Verkäuflichkeit von Büchern.
Ich habe manchmal das Gefühl, Deutschland ist bei Fontane stecken geblieben.

Frage: Wie kann man zur Sprache bringen, was man mit literarischen Mitteln mitteilen will?

Identifikationsangebot. In Deutschland gibt es das Problem, dass Diskurse pseudo-sachlich und objektifiziert geführt werden, weil Emotionalität immer mit Schwäche gleichgesetzt wird und Sachlichkeit mit Intellekt.

Wir müssen vom hohen Ross der Sachlichkeit runterkommen.
Wir müssen uns Orte suchen, wo wir Menschen außerhalb unserer Bubble abholen können.
Stärkere Positionierung der Schriftsteller_innen: Mal ein Schulstück konzipieren und dafür nicht am Roman weiterschreiben. Kollektive bilden, wenn man allein nicht die Kraft hat.

Frage: Wie geht ihr mit rechten Diskursen in eurer Sprache um?
(»Ich will diese vergiftete Sprache nicht in meine Literatur aufnehmen, das hemmt mich ungemein.«)

Eine Möglichkeit ist, sich nicht immer nur mit den Extremen zu beschäftigen.
Einen Blick auf andere Theorien werfen, sich mit anderen Disziplinen beschäftigen, anders denken, umformulieren.
Man kann sich der eigenen Angst stellen und sie in einzelne Sätze zerlegen und ihr so eine Sprache geben.

Strategie von Nazis & Goldmund: Jeden Mittwoch um 5 vor 12 muss ein Text online gehen. Das ist ein Zwang, aber auch eine gute Methode, einfach loszuschreiben. Die Routine hilft.

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Screening Kurzfilm »Erotik des Neides« von Olga Flor

Das Phänomen für erotisch aufgeladene politische Diskussionen in der filmischen Performance übersteigern.


»Wir haben die Sprache der Verwaltungen übernommen.«

Wir müssen gesellschaftliche Narrative neu denken und positive Aspekte hervorheben.

Frage: Was kann man mit der Form machen?

Pidgin-Deutsch, Dialekt, falsches Deutsch werden in Deutschland nicht besonders toleriert.
(Schade um die Vielfalt.)
Zum ersten Mal kam Thema mit Text von Tomer Gardi beim Bachmannpreis 2016 in die literarische Diskussion.

Lektorat von Texten in gebrochenem Deutsch: »Meine Sätze sollen nicht verschönert werden von meiner Lektorin. Das ist mein Stil, das sind meine Sätze. Ich fühle mich sonst fremd in meinem eigenen Text.«

Die Sprache soll sich mit der Gesellschaft weiten.
Form und Inhalt müssen zusammengedacht werden.

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Möglichkeiten
-- Kollektive bilden
-- Collagetechnik
-- Aufpassen, wo verschwundene Begriffe wieder auftauchen oder neue gebildet werden und sich damit auseinandersetzen
-- ästhetische Widersprüche provozieren
-- Persiflage? Regelmäßiger, zugespitzter Kommentar? Satire?
-- Fakten in die Fiktion bringen (Autor_innen als Chronist_innen?)
-- selbstbewusstes Schreiben
-- Figurendiversität, diverse Figuren als selbstverständlich einführen
-- Verweigerung der Eindeutigkeit
-- Verweigerung der Verständlichkeit
-- Begriffe nicht »opfern«, sondern schauen, wie sie besetzt
-- diese Begriffe in neue Kontexte setzen
-- Sprache der Populisten zerlegen und entlarven
-- Sprache allgemein analytisch auseinandernehmen
-- neue Themen setzen
-- Material sammeln, decodieren, neue Sinnzusammenhänge herstellen

»Der Leser soll immer wieder daran erinnert werden, dass er liest.«


Fotos: Sabrina Richmann



Juliane Noßack: treibt sich literarisch vielerorts im Netz herum. Seit 2014 bloggt sie über Literatur auf Poesierausch, während ihres Studiums der Angewandten Literaturwissenschaft an der FU Berlin leitete sie Litaffin. Gerade absolviert sie ein Volontariat im Verlagswesen und kümmert sich nebenbei noch um den open mike-Blog.