Im Gespräch mit Tarik Tesfu: Deutschland hat ein Rassismusproblem – schon immer

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15. Juni 2018Angie Martiens

Seit 2015 setzt Tarik Tesfu Geschlechterstereotypen, konservativen Positionen und rechtem Gedankengut im Netz einiges entgegen – gerne auch in kantigen und poppigen Videos. Auf Facebook, Twitter und seinem YouTube Chanel Tariks Genderkrise widmet er sich feministischen, queeren und antirassistischen Themen. Auch für das öffentlich-rechtliche Online-Format Jäger & Sammler bringt er, der übrigens Publizistik, Kommunikationswissenschaften und Gender Studies studierte, Politisches auf den Punkt. Wer das wagt, dem folgen natürlich die digitalen Hater_innen. Und Tarik? Der begegnet ihnen mit einer großen Portion Ironie, vielen Schmatzerl und einem breiten in-your-face Lächeln.

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Tarik Tesfu im Ballhaus Ost © Sabrina Richmann

AM: Tarik, Du bist neben YouTube auch auf Twitter aktiv und nennst Dich dort @gendermessias. Was ist Deine Mission?

TT: Meine Mission ist genderlove: weg von starren Rollenklischees der Geschlechter, hin zu der Einsicht, dass es mehr als nur ‚Mann‘ und ‚Frau‘ gibt – und das Ganze mit viel Liebe verbunden. Für uns alle – egal wie wir uns geschlechtlich oder sexuell identifizieren – kann es nur hilfreich sein, wenn wir nicht mehr in zu engen Geschlechterklischees aufwachsen.

AM: Und wie vollziehst Du Deine Mission? Wie gehst Du vor?

TT: Ich arbeite über mehrere Kanäle – am meisten über Facebook, weil hier eher meine Zielgruppe der zwischen 25- und 35-Jährigen unterwegs ist und weil ich hier aktiver sein kann, zum Beispiel durch das regelmäßige Teilen von Veranstaltungen. So kann ich auf Facebook auch viel besser wachsen als etwa auf YouTube. YouTube ist für mich eigentlich nur die Plattform, auf der ich meine Videos ausspiele – die mit der Zeit übrigens auch immer kürzer wurden, weil die Bereitschaft im Netz, sich längere Videos anzuschauen, eher gering ist. Es ist mir wichtig, an die Dinge nicht zu ernst ranzugehen. Natürlich behandle ich ernste Themen, doch meine Herangehensweise ist humorvoll. Ich ziehe das eher niedrigschwellig auf und will auch Leute sensibilisieren, die jetzt nicht unbedingt Gender Studies studiert haben. Denn die Art, wie in den Gender Studies geredet und an Fragen herangegangen wird, kann auch sehr verwirrend sein… Ich richte mich auch an Leute, die vielleicht sagen würden ‚Feminismus ist nicht mein Ding‘, und denen ich zeigen kann, dass das alles gar nicht so schlimm ist.

AM: Ist es letztlich ein Kampf, der da derzeit geführt wird zwischen Positionen für eine offenere, tolerantere Gesellschaft und Positionen, die dagegen sind? Und stehst du vielleicht mitten in diesem?

TT: Das ist eine gute Frage... Es gab schon immer Rassismus, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, aber seit die AFD als eine menschenverachtende Partei im deutschen Bundestag sitzt, hat sich definitiv einiges in der Gesellschaft verändert – denn das macht natürlich etwas mit dem öffentlichen Diskurs. Wir stellen, zum Beispiel in Talkshows, immer noch solche Fragen wie: Gehört der Islam zu Deutschland? Dabei müssten wir doch viel eher die andere Position in Frage stellen und darüber sprechen, warum er denn angeblich nicht zu Deutschland gehören solle. Ich weiß nicht, ob ich von einem Kampf sprechen würde, aber der neue Rechtspopulismus hat auf jeden Fall zu Veränderungen geführt und ich sehe mich da schon in der Verantwortung, dem auch aktiv entgegenzutreten. Wir alle müssen da gerade mehr machen, damit solche Positionen einfach nicht so stark in den öffentlichen Diskurs kommen. Ich bin zum Beispiel eigentlich kein Mensch, der auf Demos geht, aber als vor wenigen Wochen die AFD groß durch Berlin marschierte, war für mich völlig klar, dass man währenddessen nicht einfach an den See fahren oder sich in ein Café zum Eis Essen setzen kann, sondern sich an der Gegendemo beteiligen muss.

AM: Du hast gerade davon gesprochen, dass die falschen Fragen gestellt werden – Fragen, die letztlich aus der rechten Position heraus formuliert sind. Der Deutsche Kulturrat forderte vor etwa einer Woche eine einjährige Pause für die öffentlich-rechtlichen Talkshows, weil sie der AFD und ihren Positionen zu großem Aufwind verhalfen. Die Talkshows kümmern sich beinahe nur noch um Fragen, die die AFD eröffnet, und formulieren diese Fragen gerade so, dass sie von vorneherein aus der Position der neuen Rechten heraus gestellt werden. So wurde rechte Weltsicht zu guter Sendezeit zum Dauertenor. Stimmst Du dieser Kritik also zu?

TT: Nein. Die AFD ist so groß, weil es in Deutschland ein Rassismusproblem gibt – schon immer. People of Colour (POC) haben schon lange vor der AFD über den Rassismus gesprochen, doch man hat sie nicht ernst genommen und ihren Äußerungen keinen Raum im öffentlichen Diskurs gegeben – obwohl sie ihre Kritik auch gerne dort geäußert hätten. Jetzt gerade wird das lange, alte Problem des Rassismus nur endlich auch öffentlich sichtbar. In Deutschland hieß es lange, es sei doch alles prima für People of Colour, weil man die rassistische Geschichte Deutschlands doch aufgearbeitet hätte und nun alles paletti sei. Doch das stimmt einfach nicht. Rassismus war schon immer da und die AFD nutzt die im Rassismus wurzelnden Ängste, die man sich zuvor nur nicht auszusprechen traute, auf perfide Weise aus. Natürlich spielen die Medien und die Art, wie sie über Dinge sprechen, auch eine Rolle, aber sie sind nur ein Puzzleteil in der ganzen Problematik. Die Leute in den großen Medienhäusern sind primär weiß, heterosexuell und männlich – und je höher die Position, umso mehr nimmt das zu. Muslimische oder türkisch-arabisch-stämmige Redakteur_innen gibt es dort kaum. Der Blick auf bestimmte Fragestellungen ist sehr von unserem eigenen Hintergrund geprägt und wenn man selbst etwa einen Migrationshintergrund hat und in der Redaktion sitzt, entsteht die Möglichkeit, dass da jemand sagt: Hej – Momentchen mal! Ich bin doch selbst muslimisch und natürlich gehöre ich zu Deutschland! Also lasst uns die Frage doch bitte mal anders stellen. Die großen Medienhäuser müssen sich deshalb diverser aufstellen!

AM: Du ziehst in Deinen Videos mit viel Ironie in die Mission. Ironie wird nicht immer von allen verstanden und kann dann letztlich genau das vermitteln, was man gerade nicht aussagen wollte. Ist Ironie damit nicht auch ein sehr schwieriges rhetorisches Mittel?

TT: Es gibt in Deutschland ja schon ganz viele tolle feministische Formate, zum Beispiel das Missy Magazine (das auch Medienpartner der Konferenz ist) oder die Blogs Kleinerdrei und Mädchenmannschaft. Ich wollte die Themen, die andere schon ganz toll verarbeiten, nochmal auf eine andere Weise angehen. Konkret hatten mir da bisher eine Videokolumne, was Visuelleres, und eben ein weniger ernster Zugang gefehlt. Meine Herangehensweise ist humorvoll, aber auch direkt und in gewisser Weise provozierend. Gleichzeitig erkläre ich in meinen Videos relativ wenig, weil ich möchte, dass die Leute aktiv mitdenken und nicht alles vorgekaut bekommen. Ja, das birgt natürlich die Gefahr, dass Leute mich missverstehen. Letztlich machen die User_innen mit dem Video aber immer, was sie selbst möchten. Wer mich radikal falsch versteht, hat vielleicht auch kein ernsthaftes Interesse am Verstehen, und wer mich zwar missversteht, aber grundsätzlich offen für einen Austausch ist, kann mit mir auf den Kanälen direkt ins Gespräch kommen, mir zum Beispiel eine Nachricht schicken und nachfragen, wie ich etwas jetzt eigentlich gemeint habe.

AM: Manche User_innen verstehen Dich nicht nur falsch, sondern zielen ganz konkret darauf ab, Dich auch zu denunzieren. An diese Hater_innen wendest Du Dich in deinen beiden Mimimi-Hymnen – natürlich wieder in super ironischer und witziger Weise. Wie war das für Dich, als die ersten verbalen Angriffe, Beleidigungen und Drohungen gegen Dich und Deine Netzaktivitäten aufkamen? Wusstest Du sofort, dass Du dem etwas direkt entgegensetzen willst?

TT: Grundsätzlich muss man ja unterscheiden zwischen Beleidigungen, die mich vielleicht nur als Arsch bezeichnen, und Hasskommentaren, die mich aufgrund meiner Hautfarbe als Arsch bezeichnen – weil ich ein scheiß N sei. Als ich 2015 mit meinem Kanal angefangen habe, lag die Quote der Hasskommentare ja ‚nur‘ bei circa zehn Prozent. Wobei meine Beiträge zum Thema Rassismus deutlich mehr Hasskommentare auf sich zogen – hier lag die Quote meist bei etwa 30 Prozent. Damit kam ich schon klar, denn ich wusste ja auch vorher, wie das Internet tickt und dass es Hater_innen auf sich zieht, wenn ich die Themen so ansprechen, wie ich sie anspreche. Ich hatte am Anfang auch eine Förderung erhalten, die mich auf solche Situationen vorbereitet hat. Ich konnte aber auch deswegen gut damit umgehen, weil ich natürlich schon vorher Rassismus und Homofeindlichkeit erfahren habe und für mich Strategien entwickeln musste, wie ich damit umgehe. Exorbitant krass sind das Ausmaß und der Inhalt der Hasskommentare erst geworden, als ich letztes Jahr beim öffentlich-rechtlichen Format Jäger und Sammler angefangen habe. Es wurde die Mär verbreitet, ich würde alle weißen Menschen hassen und sei deshalb ein Rassist – und das sei doch skandalös, dass 'so jemand' dann auch noch von ‚uns‘ bezahlt wird. Da haben Leute dann auch angefangen gezielt eigene Videos gegen mich zu machen und meine Videos mit Dislikes downzuraten. Das war dann am Anfang natürlich schon erst mal krass, weil ich auch gemerkt habe, dass deren Aktionen echt einen Effekt haben, indem sie die Reichweite meiner Videos einschränken – aber wie gesagt, ich habe da meine Strategien entwickelt und kann gut damit umgehen.

AM: Wenn Du Dich in den Videos mit Ironie gegen sexistische, homophobe und rassistische Postionen und gegen an Dich persönlich gerichtete Angriffe wendest, nimmst Du die Worte ‚der Anderen‘ in den Mund. Worte, die nur darauf abzielen zu verletzen, zu bedrohen, zu denunzieren. Verbale Angriffe, die oft extrem gewaltvoll sind und bis hin zu Mordfantasien reichen. Wie fühlt es sich an, solche Sachen, die gegen einen selbst gerichtet sind, über die eigenen Lippen zu bringen?

TT: Für mich hat das etwas empowerndes! Ich wiederhole deren Angriffe ja auf eine ironische und damit auch provozierende Weise, sodass die Worte sich nicht mehr gegen mich, sondern gegen die Aggressor_innen richten. Ich halte den Leuten damit einen Spiegel vor: So nennt ihr mich und denkt dabei offensichtlich, dass es ernsthaft okay sei, einen anderen Menschen, den ihr überhaupt nicht kennt, so zu anzugehen. Es macht mir tatsächlich Spaß, die Sachen selbst in den Mund zu nehmen. Nur das N-Wort benutze ich jetzt nicht mehr, weil mir andere Schwarze und People of Colour zurückgemeldet haben, dass dieses Wort für sie extrem verletzend ist. Für mich ist es das zwar nicht, wenn es in einem ermächtigenden Kontext benutzt wird, aber eben durchaus für andere und deswegen benutze ich es nicht mehr oder piepse es halt. Letztlich geht das Spiel des Spiegelvorhaltens damit verloren, weil es eben nur funktioniert, wenn ich tatsächlich auch ausspreche, was mir entgegnet wird – aber natürlich kann ‚mein Spiel‘ nicht auf Kosten anderer gehen, weshalb ich es jetzt nicht mehr benutzen möchte.

AM: Du sprichst von einer empowernden Wirkung… in der Geschichte haben ja diverse diskriminierte Gruppen angefangen, die Beleidigungen, die man gegen sie richtete, als Selbstbezeichnung zu nutzen und sich dieser Begriffe ermächtigt: Das N-Wort, das englische queer (das man LGBT abfällig hinterherrief und das sich am ehesten mit dem deutschen pervers übersetzen lässt) und viele andere Begriff haben diese Wandlung durchlaufen. Ist es für Dich in der gleichen Art und Weise empowernd, wenn Du die Angriffe Deiner Hater_innen mit einem Grinsen wiederholst?

TT: Also es besteht natürlich schon nochmal ein Unterschied dazwischen, das N-Wort selbst zu benutzen oder Androhungen physischer Gewalt zu wiederholen… Im Endeffekt geht es mir darum, den Leuten den Spiegel vorzuhalten. Das ist für mich empowernd, weil ich mich zunächst sehr passiv gefühlt hatte, als mir die ganzen Hasskommentare entgegenkamen. Diese zwei Mimimi-Videos waren dann auch das erste und einzige Mal, dass ich mich öffentlich mit den Hater_innen auseinandergesetzt habe – ansonsten reagiere ich auf diese Kommentare nie: Ich lösche nicht, ich melde nicht, ich antworte schon lange nicht mehr darauf. Es war befreiend mit den zwei Videos aus dieser passiven Situation herauszukommen, indem ich daraus ein lustiges und witziges Video mache – aber danach war die Sache dann für mich auch gelutscht.

AM: Wenn Menschen dich gerne unterstützen möchten, wie können sie das am besten tun?

TT: Zum einen können Leute counter speech (Gegenrede) schreiben, indem sie auf die Hasskommentare reagieren und darauf hinweisen, dass das einfach nicht in Ordnung ist. Das kann natürlich dazu führen, dass man selber gehatet wird. Deshalb erwarte ich das natürlich nicht von den Leuten, aber umso mehr freut es mich auch, wenn es unterstützende counter speech gibt. Am schlausten ist es wohl auch, die Hater_innen einfach hassen zu lassen, weil sie sich durch Reaktionen vermutlich eher bestärkt sehen. Ein anderer Weg ist auch, online einfach öfter mal zu zeigen, dass man Dinge gut findet. Ich kenne das ja selbst auch von mir: Ein Like vergibt man oft nur dann, wenn man Sachen wirklich super krass gut findet – aber Likes sind eine Form der Unterstützung und die sollte man vielleicht auch einfach öfter mal für Artikel, Videos, Kommentare und Positionen vergeben. Natürlich findet man fast immer bestimmte Aspekte, mit denen man nicht ganz so konform geht. Das kann man ja dann auch nochmal in Form konstruktiver Kritik anmerken, denn natürlich ist auch konstruktive Kritik etwas Wunderbares, das einen weiterbringen kann. Auch Emojis oder Nachrichten sind eine tolle Art, zu unterstützen oder konstruktive Kritik zu äußern.

Das nehme ich gerne als Schlusswort auf: Die Knauserigkeit im digitalen Support auch mal überwinden! Denn über den können wir mitsteuern, was (k)eine große Reichweite bekommt! Vielen Dank für das Interview, lieber Tarik.



Angie Martiens: 1991 in Berlin geboren und aufgewachsen. Studium der Germanistik, Politikwissenschaft, Neueren Deutschen Literatur und Tanzwissenschaft mit Fokus auf Gender Studies in Berlin und Stockholm. Bloggt seit 2017 auf Litaffin über Literatur und Kultur, arbeitet an der Freien Universität Berlin und organisiert im akademischen Raum Veranstaltungen zu Fragen von Gender und Diversity.