Olga Flor: Klare Worte finden auf eine »Politik der Emotionen«

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16. Juni 2018Juliane Noßack
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Foto: Sabrina Richmann

Der Innenhof des Ballhaus Ost. Vögel zwitschern um die Wette. Heute ist der Auftaktabend für »Ängst is now a Weltanschauung«. Bevor es losgeht, treffe ich mich noch mit der österreichischen Autorin und Essayistin Olga Flor. Wir suchen uns ein ruhiges Eckchen, meine vorbereiteten Fragen brauche ich eigentlich gar nicht, wir kommen sofort ins Gespräch.

Olga Flor ist 1968 in Wien geboren, in Köln während des Deutschen Herbsts zur Grundschule gegangen. Sie lebt in Graz und Wien. Sie ist Physikerin, aber seit 2004 widmet sie sich vor allem dem Schreiben. Für »Ängst is now a Weltanschauung« ist sie Inputgeberin in der Arbeitsgruppe »Wie die Sprache nicht verlieren? – Literarische Strategien gegen rechtes Denken und Sprechen«. Auch Olga, die zunächst als Autorin fiktionaler Texte Bekanntheit erlangte – im letzten Jahr erschien ihr sechster Roman »Klartraum« –, musste erst einen Weg suchen, die Sprache angesichts des aufkeimenden Populismus nicht zu verlieren und sich mit ihrer Meinung sichtbar zu machen.

Politisch engagiert habe sie schon immer, sie verstehe sich generell als politische Autorin. Mit der »IG Autoren Autorinnen« initiiert und formuliert sie politische Aufrufe zur Unterstützung von Geflüchteten und einer Änderung der Gesetzeslage. Immer wieder äußert sie sich politisch, doch bis vor Kurzem eher in knappen Interventionen, was sie ermüdet hat: »Ich wollte einfach etwas in Buchform haben, etwas, das auch vorliegt, das da ist. Das ist anders, als Artikel in einer Tageszeitung zu schreiben, die man durchliest und dann in die nächste Ecke schmeißt. Ein Buch bleibt und es ist mir vor allem wichtig, zu sagen: ›Hier gibt es eine Gegenposition!‹«

Im vergangenen Februar erschien Olgas Essay »Politik der Emotionen« im Residenz Verlag. »Ich hatte das Gefühl, dieses Thema ist genau das, was heute in der Luft liegt. Es werden Emotionen geschürt, um mit diesen Emotionen politisches Kleingeld oder auch Großgeld abzuschöpfen. Klar, Politik ohne Emotionen gibt es nicht, aber der Fokus ist derzeit sehr darauf verschoben, negative Emotionen zu schüren. Es gibt auch positive Emotionen in der Politik, die bewusst eingesetzt werden. Aber im Moment sehen wir, dass von den Populisten und Populistinnen aller Welt – und meistens sind es Männer – dezidiert negative Emotionen geschürt werden. Respektive wird sogar eine Politik gemacht, die dazu führt, dass bspw. Leute gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden , was wiederum die Kriminalitätsrate automatisch erhöht, was wiederum die Basis ist dafür, dass man wieder auf Kosten dieser Leute Politik machen kann.«

Besonders beunruhigt zeigt sich die Autorin im Gespräch von den derzeitigen politischen Entwicklungen in Österreich, wo der amtierende Bundeskanzler Sebastian Kurz mit dem Begriff einer »Achse der Willigen« provoziert: »Achse der Willigen … Rom, Wien, Berlin … ich fürchte, dass ihm auch gar nicht bewusst war, was er da gesagt hat. Allein diese Begrifflichkeit zu wählen, zeugt entweder von einer bewussten Ignoranz historischer Zusammenhänge, der Unkenntnis oder dem bewussten Anspielen. So wird gerne gearbeitet … eine Mischung aus Halbwissen und Behauptungen, mit denen von vielen populistischen Politikern und Politikerinnen agiert wird.« Dass die Beschwörung einer »Achse der Willigen« zu kurz gedacht ist und nicht aufgeht, steht für Olga fest. Die »nationalistische Internationale« funktioniere nicht, wenn jeder letzten Endes wirklich nur auf das eigen Land schaut: »Dann hat man natürlich Interessenskonflikte. Wenn der Seehofer sagt, wir weisen alle Geflüchteten an der Grenze zurück, dann bleiben sie logischerweise in Österreich und wenn Österreich sagt, wir weisen alle Geflüchteten an der Grenze ab, dann bleiben sie in Italien, womit all diese drei Länder höchstens bewiesen haben, dass sie untereinander unsolidarisch sind und dass man mit der Bildung einer Achse der Rechtspopulisten zu keiner befriedigenden Lösung der einzelnen Staaten kommt.« Für Olga steht auch die Europäische Union in der Pflicht, dem undemokratischen Verhalten einiger Regierungen wie in Ungarn oder Polen mit Sanktionen zu begegnen. »Ich sehe mich als Europäerin und ich sehe das europäische Projekt wirklich in Gefahr durch diese populistischen Tendenzen.«

Wir reden weiter über Österreich und darüber, dass Olga in Deutschland verglichen zu Österreich eine viel kritischere Form des Diskurses sieht und immer noch das Gefühl hat, es liegen Welten zwischen dem rechtspopulistischen Potenzial der beiden Länder. »Die deutschen Medien behaupten dann gerne, dass die österreichischen Intellektuellen sich raushielten. Das ist einfach nicht wahr. Es ist leider Gottes so, dass viele offene Briefe gar nicht gedruckt werden. Die gehen an die APA und die verteilen das, aber es druckt niemand. Das ist einfach schwierig.«

Aber was kann dem Populismus entgegengesetzt werden? Olga plädiert für Klarheit und eine direkte Ansprache: »Es wird Zeit für klare Worte als Antwort. Wobei ich prinzipiell das Problem dabei sehe, dass man dazu neigt, mit solchen Texten solche Leute zu erreichen, die ohnehin eine ähnliche Meinung haben, sprich das berühmte Preaching to the Converted. Allerdings habe ich auch den Eindruck – und das spürt man gerade bei den wunderbaren Keynote-Vorträgen auf der Konferenz sehr stark –, dass die Leute wirklich dankbar sind, wenn jemand versucht, Phänomene zu benennen und in einen Kontext zu setzen.« Es ist also gar nicht so einfach, dem Rechtsruck als Autor_in zu entgegnen – das hatte ich auch gar nicht erwartet –, aber Olga bietet interessante Anknüpfungspunkte, die sie auch während ihres Inputs für die Arbeitsgruppe 1 noch weiter ausführen wird.

Am Ende unseres Gespräches erzählt mir Olga noch, dass sie im letzten Jahr Teil der Viennale-Jury war und zusammen mit ihren Mitjuror*innen Lukas Valenta Rinners Film »Los Decentes« (dt. Titel: »Die Liebhaberin«) ausgezeichnet hat. Wir schauen uns zusammen den Trailer an und ich habe nun ein neues To Watch auf meiner Filmliste.



Juliane Noßack: treibt sich literarisch vielerorts im Netz herum. Seit 2014 bloggt sie über Literatur auf Poesierausch, während ihres Studiums der Angewandten Literaturwissenschaft an der FU Berlin leitete sie Litaffin. Gerade absolviert sie ein Volontariat im Verlagswesen und kümmert sich nebenbei noch um den open mike-Blog.