3/Kunst, Kultur & Medien in Neoliberalismus und Postdemokratie

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15. Juni 2018Angie Martiens

Report to grow on work in progress

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Arbeitsgruppe 3 bei "Ängst is now a Weltanschauung" © Sabrina Richmann

Es ist 18:30 Uhr. Wir lösen unsere Arbeitsgruppe auf – für eine Schüssel Suppe im leeren Bauch und einen weiteren Kaffee vor den Keynote Lectures. In meinem Kopf schwirrt die Frage: Wie soll ich nun berichten?

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Über acht Stunden hinweg haben wir: fokussiert. Fokussierten Rechtspopulismus und Ressentiments, populistische Rhetorik und ihre Muster, Diskursfiguren und Logiken – angeregt durch Reinhard Olschanskis Input-Vortrag…

… Populismus, der kennzeichnet sich durch die Konstruktion eines Feindbildes aus. Es geht ihm stets nur oberflächlich um einen Gegenstand, ein Thema. Unter der Oberfläche – im Kern – deutet er ein Feindbild aus. Populismus, der organisieren, wenn zur Feindausdeutung die Bereitschaft zum Groll hinzukommt, genauer: wenn die Bereitschaft für Ressentiments hinzukommt….

… Ressentiments, das ist ein spontaner Affekt. Ein Gefühl, das entsteht, wenn man ein Ungleichgewicht in Geltung, Eigentum und Macht wahrzunehmen meint. Ein Gefühl, das der Situation eigentlich nicht angemessen ist, aber dennoch stark ist – und grollt…

… es grollt besonders breitenwirksam, das Ressentiment, wenn es sich mit dem Populismus verbindet und in seiner für ihn typischen Rhetorik vorgetragen wird. Populistische Rhetorik stellt eine Durchschnittlichkeit und Gleichheit aus. Sie spricht von einem „Herzland“, das vom ‚Feind‘ bedroht sei. Sie kennt die argumentative Gesprächsebene des Demokratischen nicht, sondern spricht auf der moralischen Ebene. Sie kennt die demokratische Gesprächskultur von Rede und Gegenrede nicht…

… doch der Populismus kennt seine eigenen Logiken. Er blendet die ökonomischen Verhältnisse aus – wenn die AFD ihre Rede an die sozial Abgehängten richtet und gleichzeitig eine neoliberale Wirtschaftspolitik fährt. Der Populismus kennt auch die Ökonomie der Aufmerksamkeit, die Menschen anzieht. Er ist ein Kind des Klatsches, der nach derselben Logik verläuft. Man klatscht nicht mit den Händen, sondern im Gespräch über einen Dritten, den Anderen, und je misslicher es dem Dritten geht, umso anziehender ist der Klatsch. Und die: Talk – shows – Klat – schen – Im – In - fo – tain – ment – for – mat.

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Arbeitsgruppe 3 bei "Ängst is now a Weltanschauung" © Sabrina Richmann

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Über acht Stunden hinweg haben wir: gefragt. Fragten nach politischer Relevanz, nach Problemen, Begriffen und neuen Ideen. Hinterfragten eigenes Tun und strukturelle Bedingungen…

… Was passiert denn derzeit eigentlich in der Gesellschaft gegen Rechtspopulismus – abseits wegbassender Rave-Demos eines sich selbst feiernden Berlins – und wo sind hier unsere Hürden? Ist denn wirklich die Rhetorik, ob nun populistisch oder nicht, das Problem – oder nicht eher das Ressentiment, in dem die Menschen unabhängig ihrer Rhetorik gefangen sind? Versetzen nicht wir selbst die neuen Rechten in eine Opferrolle, in der sie sich so gerne inszenieren, wenn wir dauernd sagen, wie schlimm sie sind? Warum ist die Linke nur am Reagieren statt zu agieren? Wo ist der Unterschied zwischen Aktivismus und Kunst? Und wo der Unterschied von journalistischem zu künstlerischem Schreiben? Warum funktionieren Aktionen wie der Me-too-Hashtag so breitflächig und was können wir für politische Kunstaktionen daraus lernen? Mit welche Gruppen sollen wir ins Gespräch kommen – mit populistischen Führer_innen, mit den denen, die der Rechtspopulismus adressiert, mit den Gegner_innen des Rechtspopulismus? Gibt es künstlerische Konkurrenz aus der der identitären Szene? Sind wir nicht zu abgehoben, wie wir hier den ganzen Tag lang sitzen und über Dinge reden, die und so wichtig sind und für die ein Gros uns nur belächelt? Können wir uns Kunstformen vorstellen, die nicht nach kapitalistischen Zwängen des Verkaufens, der Aufmerksamkeit und des Veröffentlichens funktionieren? Müssen wir nicht einfach akzeptieren, dass unsere künstlerische Arbeit der Aufmerksamkeitsökonomie unterliegt, weil das nun mal die soziale Realität ist? Künstler_innen werden ja in der Gesellschaft überhaupt nicht als bedrohlich angesehen – aber vielleicht müssten wir genau das ändern und widerständiger werden? Vielleicht sollten Künstler_innen weniger mit Politiker_innen sondern mit liberal ausgerichteten Unternehmen zusammenarbeiten – vielleicht den Auftrag für ein Unternehmen als Plattform, die politisch genutzt werden kann, begreifen? Müssen wir Begriffe reclaimen? Vielleicht sollten wir den Heimat-Begriff reclaimen: als fluide Heimat oder als futuristische Heimat?

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Etwa acht Stunden hinweg haben wir: sogar auch beantwortet. Beantworteten Fragen der anderen und Fragen, die noch gar nicht im Raum standen…

… Linke Politik darf sich nicht dem Populismus hingeben, denn damit wird eine Gesprächskultur normalisiert, die das demokratische Prinzip argumentativen Austausches nicht mehr kennt! Marx Kapital kann man monatelange lesen, weil es Verhältnisse feingliedrig aufarbeitet und nicht einfach sagt ‚ach – alles Kapitalisten‘ – so muss linke Politik arbeiten. Die Linke hat über all die Jahre nur den Modus der Opposition gekannt, in dem man reagiert, und hat daher keine Erfahrung damit, selbst aktiv zu werden. Wir müssen Räume schaffen! Und bestehende freie Räume verteidigen müssen wir auch! Wir müssen viel mehr diese inhaltlichen Widersprüche hinter der Rhetorik sichtbar machen! Sichtbar machen, dass Trump ein Multimilliardär, dessen Politik die Reichen und Mächtigen statt die ‚Abgehängten‘ fördert. Kunst kann gar nicht mehr in der Art wie damals noch Elfriede Jelinek & Co bedrohlich gegenüber dem Bürger_innentum sein, weil das Publikum von Kunst heute heterogener ist und da kein homogenes Bürger_innentum mehr vor einem sitzt. Es gibt Konkurrenz durch rechte Künstler_innen und Intellektuelle: Angefangen bei popkulturellen Bands wie Freiwild über den österreichischen Thomas Glavinic bis zu identitären Kollektiven wie Kontrakultur in Halle, die nach gleichen Ästhetik und alternativkulturellen Formen funktionieren, wie linksintellektuelle Kunst. Wir befinden uns im Post-Stadium einer Links-Rechts-Dichotomie, sind angekommen im Kulturkampf und in rhetorischen Oben-unten-Linie, die von denen da oben spricht, die uns hier unten übergehe. Ich kann nicht aus der Position als Künstler_in sprechen, denn derdie bin ich nicht: Ich bin ein Mensch der sich manchmal auch künstlerisch ausdrückt bin Teil der Gesellschaft bin oft auch Teil eines Publikums bin ein Mensch mit künstlerischer Praxis bin nicht mal Künstler_in und mal Bürger_in. Stärke wie auch Schwäche von Kunst: Sie muss anders als der Aktivismus keine Ergebnisse liefern. Wir Künstler müssen uns mehr als Schnittstellen betrachten.

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Arbeitsgruppe 3 bei "Ängst is now a Weltanschauung" © Sabrina Richmann

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Etwa acht Stunden hinweg haben wir: kritisiert. Kritisierten einander, Positionen im Raum…

… Wir positionieren uns hier die ganze Zeit nur als politisch interessierte Bürger_innen, doch lasst uns doch jetzt mal aus unserer Position als Künstler_in sprechen! Wenn wir sagen, der rechtsintellektuellen Führerinnen leitet die Masse mit dem Groll an, entschuldigt das die Masse! Wir sagen Kunst ist der Reflexionsraum und das Spielen mit Positionen und Widersprüchen, doch aus rechtspopulistischer Perspektive ist das kein Hinterfragen, sondern ein Zersetzen*, das der rechten Ästhetik von der Schönheit der Kleinfamilie, des Landes etc. entgegensteht. Wir dürfen nicht verkennen: Rechte Kunst ist zwar viel Heidi-Ästhetik, aber nicht nur, denn auch hier gibt es Kunst, die will mitunter subversiv – dem Linken gegenüber – sein will und deren Aktionen funktionieren rein auf der ästhetischen Ebene betrachtet genauso wie das linke Zentrum für Politische Schönheit. Weh vom Heimat-Begriff oder Untersuchungen rechter Rhetorik: Wir sollten uns nicht auf die Themen und Begriffe fokussieren, die die neuen Rechten interessieren, denn damit stellen wir sie wieder ins Zentrum und reagieren nur auf sie! Lasst doch mal bitte was Eigenes machen! Ja aber, wir müssen sie doch erstmal genau begreifen durch Untersuchungen, sonst kann unser Handeln nach hinten losgehen! Derzeit wird noch viel zu wenig ernsthaft analysiert. Nein – wir dürfen auf gar keinen Fall überlegen, wie wir Kunst außerhalb kapitalistischer Zwänge und Bedingungen organisieren können, sobald das heißt, dass wir Arbeit unentgeltlich leisten – das geht in eine völlig falsche Richtung.

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Wie über die Arbeitsgruppe berichten? Ein Bericht verfolgt das Ziel, seinen Leser_innen eine Aussage zu vermitteln… Wie berichten, wenn wir uns gar nicht einig waren über „Welcher Rechtsruck? – Die Rolle von Kunst, Kultur und Medien in Neoliberalismus und Postdemokratie“? Wie berichten, wenn Fragen unbeantwortet blieben und viel Kritik im Raum stand, wie und warum man etwas nicht machen sollte? Die mitunter durchaus berechtigte Kritik übergehen und die kritisierten Ideen dennoch in den Report aufnehmen? Das aufschreiben, was aus Sicht mancher wirklich nicht als nachhaltige und fruchtbare Ideen in Frage kommen sollte? …
… ja – im Sinne einer demokratischen Gesprächskultur von Rede und Gegenrede, wie Reinhard Olschanski uns heute so schön mit auf den Weg gab!



Angie Martiens: 1991 in Berlin geboren und aufgewachsen. Studium der Germanistik, Politikwissenschaft, Neueren Deutschen Literatur und Tanzwissenschaft mit Fokus auf Gender Studies in Berlin und Stockholm. Bloggt seit 2017 auf Litaffin über Literatur und Kultur, arbeitet an der Freien Universität Berlin und organisiert im akademischen Raum Veranstaltungen zu Fragen von Gender und Diversity.