Im Gespräch mit Thomas Meinecke: Die Politik der Oberfläche

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17. Juni 2018Angie Martiens

Thomas Meinecke ist Schriftsteller – einer der Suhrkamp-Popliteraten – und zugleich Musiker: Er ist DJ für den Bayerischen Rundfunk und Bayern 2, Teil der New-Wave-Band F. S. K. (ehemals Freiwillige Selbstkontrolle) und hostet die Reihe Plattenspieler im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU). Seine postmoderne Literatur verbindet Musikalisches, Feministisches und Literarisches und interessiert viele Literaturwissenschaftler_innen. Das bringt ihn, der selbst auch Literatur-, Theater und Kommunikationswissenschaft studierte, des Öfteren auf akademische Podien.

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Thomas Meinecke im Ballhaus Ost © Sabrina Richmann

Angie Martiens: Du hast Dich bei der Konferenz mit den anderen Künstler_innen und Journalist_innen in vielfacher Weise ausgetauscht und am Samstagabend auch als DJ aufgelegt. Kann ein DJ-Set politisch sein?

Thomas Meinecke: Ja. Mein DJ-Set ist diskursiv, weil es vieles aus der Szene sexuell andersdenkender Afroamerikaner aufnimmt. Ich spiele house music, die eine queere Konnotation hat und dann auch ganz interessante Fragen aufwirft, wenn man auf die Slogans der Stimmen hört. Da kann vieles auch als Sexismus verstanden werden, das sich – wie ich als aufgeklärter Linker immer zu hoffen glaube – dann aber vielleicht auch dialektisch lesen lässt. Ein DJ-Set kann auch politisch sein, obwohl es vom Material her unexplizit ist, weil die sozialen Räume, in denen sich die Musik aufgebaut hat, politische Räume waren: Orte der sexuellen Dissidenz, queere Räume. Auch schon das Disco-Genre, das als sissy music galt und in den 70er Jahren von der männlichen Rock-Fraktion in einer großen Aktion, der Disco Demolition Night, regelrecht exekutiert wurde: Bei einem großen Sportevent in Chicagos Comiskey Park Stadion wurden Disco-Platten in der Mitte angehäuft und in die Luft gejagt und am nächsten Tag ist angeblich keine Disco-Platte mehr im Radio gelaufen. Nachdem Disco in den Untergrund gezwungen wurde, haben sich ja Dinge wie das Berghain entwickelt.

AM: DJing und Schreiben lässt sich bei Dir über die Technik des Samplens, des Zitierens, verbinden. Das literarische Zitieren von Texten, Diskursen und Medien bringt Dein Schreiben auch in eine Abhängigkeit vom Sprachmaterial, das Dich umgibt. Nun wandelt sich das Sprachmaterial, die Rhetorik unserer Gesellschaft, gerade massiv: Stigmatisierungen werden sagbar, indem man ans Satzende einfach ein das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen hängt. Was macht das mit Dir und Deinem zitathaften Schreiben?

TM: Ich habe das Gefühl, ich bin Teil dieses Prozesses, teilweise sogar aktiver Antreiber. Weil ich es total sinnvoll finde, da ständig drüber nachzudenken, was gut ist zu sagen und was nicht. Ich bin auch ständig dabei, da nachzukorrigieren. Das ist keine Zensur, sondern freiwillige Selbstkontrolle, die ich allen ans Herz lege. Und wenn da jemand sagt das wird man ja wohl noch sagen dürfen ist auch immer schon klar, dass man es nicht darf – und dass es auch okay ist, wenn man’s nicht darf. Ich würde sagen, in dem Moment, wo sich jemand von etwas diskriminiert fühlt, war es auch diskriminierend. Da ist mein Sensorium auf superfeine Erschütterungen eingestellt. Insofern finde ich es auch ein ganz gutes Klima gerade – dass darüber auch von denjenigen nachgedacht werden muss, die das am liebsten nicht getan hätten.

AM: Da wir von Sprache sprechen: Hat Musik eine Rhetorik?

TM: Ja, das hat sie. Sie hat der Sprache einiges voraus und vieles lässt sich durch Musik auch nochmal anders ausdrücken. Move D und ich machen ja auch schon seit 20 Jahren gemeinsam Hörspiele, die mit der Zeit immer trackiger wurden – immer weniger Worte hatten. Es gibt von uns Hörspiele, da würdest Du nie denken, dass das als Hörspiel gemeint ist. Das ist einfach Musik. Work zum Beispiel. Ein Verriss hatte mal die Überschrift Bum Bum Bum, denn wir sind halt baselastig. Ich dachte mir, die Bücher zu den Hörspielen gibt es doch schon und deren Ableitung darf dann auch mal nonverbal sein… angefangen hatte das, als ich gefragt wurde, ob ich zu meinem Roman Tomboy nicht ein Hörspiel machen will. Move D kommt im Roman vor und da habe ich ihn gefragt, ob wir das nicht zusammen machen wollen. Musik ist auch ein ganz großes Medium, weil es ohne Worte auskommt und trotzdem Text, Struktur, Textur ist. In den 90ern habe ich angefangen, mich mit feministischer Dekonstruktion zu beschäftigen: Judith Butler, Lucy Irigaray, Silvia Bovenschen oder Kristeva. Die haben mein Augenmerk, als jemand der noch klassisch links sozialisiert worden ist, darauf gerichtet, die Dinge an der Struktur, der Sprache zu verändern, anstatt das Gesamte umstürzen zu wollen. Genauso begeistert wie ich diese Texte las, war ich zur gleichen Zeit auch vom Techno, der ohne Refrains und Wortlaute auskommt und mein Wahrnehmen feiner Unterschiede schulte – speziell Minimal-Techno Mitte der 90er. Das schien mir ein totales Äquivalent dessen zu sein. Es gab auch den Zitatrock der 80er Jahre als Bands begannen, historische Stile wiederaufzugreifen und zu reenacten… aber auf eine Art, dass es dann doch nochmal etwas anderes war als bei der letzten Umdrehung der Popwiederholung. Im Jazz wurde das Zitieren auch die ganze Zeit schon vorgemacht.

AM: Du hast kurz vom Pop gesprochen – lass uns da bleiben: Der Pop als eine Bewegung, die mittlerweile gesamtgesellschaftlich verankert ist, liebt das Oberflächliche. Hat der Pop ein zu weichgespültes Verhältnis zum Politischen und ist er daher vielleicht auch nicht ganz unschuldig am allzu lange ignorierten Rechtsruck?

TM: Ich mag die Oberfläche sehr gerne. Ich sehe vieles, das politisch problematisch ist, an Oberflächen abgebildet. Von da aus lassen sich dann Gedanken machen, die in die Tiefe gehen. Zum Beispiel Drag und Voguing aus der queeren, afroamerikanischen Szene und der House Subkultur... Voguing ist voll oberflächlich: Die Voguing-Stars benennen sich nach den großen Couturiers und der Name selbst kommt ja von der Zeitschrift Vogue. Das ist voll die Popoberfläche. Aber ohne Voguing gäbe es auch Butlers Gender Trouble nicht, denn sie hat die Genderstrukturen an der Oberfläche dieser Enactments im Drag und Voguing analysiert. Aber natürlich gibt es auch ganz dumpfbackige Popsachen.

AM: Hat der Techno ein anderes politisches Potenzial als der Pop?

TM: Einerseits ging es im Techno um das Abgrenzen vom männlichen Rock mit seinen monumentalen Werken und auch um das Erobern sozialer, auch queerer, Räume. Im Techno war man in seinen Verhaltenscodes flüssiger und hat diese Konstruktion eines männlichen Subjektes, wie es im Rock immer geschaffen wurde, aufgeweicht. Auch die Musik selbst erschien mir abseits ihrer monotonen Textstruktur flüssiger. Die enthielt andere Versprechungen als diese Revoluzzer-Rock-Songs: das Aufleuchten des Zukünftigen und das Fokussieren von gender und race anstatt class. Class wurde mit dem Wegfall der Blöcke und dem Aufkommen von Techno für mich durch ein neues Paar ersetzt: Feminismus und Techno. Und die DJs haben einfach Kürzel statt big names benutzt. Generell war das eine politisch ganz fortschrittliche Bewegung. Es gibt aber auch, wie bei der Loveparade, Bewegungen, die eher dumpf mitmarschieren – aber das ändert nichts.

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Thomas Meinecke im Ballhaus Ost bei "Ängst is now a Weltanschauung" © Sabrina Richmann

AM: Du hast sie jetzt auch schon mehrmals angesprochen: postmoderne, dekonstruktivistische Theorien – was mich zu einer anderen Frage bringt. ‚Besorgte Bürger‘ schaffen derzeit ‚alternative Fakten‘ und lassen Vorwürfe laut werden, dass die Medien alles nur aus einer bestimmten Perspektive zeigen – dass das ja alles so gar nicht 'die' Wahrheit sei. Wie geht der postmoderne Mensch, der weiß, dass Wissen immer diskursiv konstruiert und Aushandlungssache ist, damit um?

TM: Als die Beraterin Trumps, Kellyanne Conways, in einem kritischen Interview sagte No, but we have alternative facts habe ich in dem Moment total losgelacht. Im Grunde genommen war sie mir total sympathisch, weil sie von der Gemachtheit der Nachrichten ausging, was ja gedanklich nicht falsch ist. Aber natürlich hatte sie damit ein komplett indiskutables politisches Interesse vertreten. Links-Sein darf sich gar nicht so sehr um Fakten drehen, sondern um eine Parteinahme. Es ist immer noch das Projekt der Aufklärung: die Verbesserung der Welt. Es wurde so viele Jahrhunderte hindurch Professor gesagt, dass jetzt von mir aus erstmal 300 Jahre lang Professorin gesagt werden darf, ohne dass sich irgendein Mann beschweren braucht. Und wir hier leben seit Jahrhunderten von der Armut und dem Elend der dritten Welt und deshalb soll hier jeder reinkommen können. Das darf nichts mit Fakten zu tun haben – ob sie nun aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen kommen: Aus der Parteinahme und Gerechtigkeit heraus soll hier jeder reinkommen dürfen.

AM: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine neuen Phänomene und Du setzt Dich schon seit den 70er Jahren intensiv mit Diskriminierungsformen und Machtgefällen auseinander. Ist Dein Eindruck, dass sich die Geschichte letztlich immer nur wiederholt?

TM: Es wird jetzt anders diskursiv verhandelt, aber es ist nicht wirklich neu. Doch früher, als die alte Nazi-Generation noch lebte, waren Dinge wie Rassismus und Xenophobie noch viel böser. Mir wurde sogar erst, als ich 50 war, die Kontinuität der Nazizeit bewusst, die sich weit in die BRD hineinzog: NSDAP-Mitglieder waren noch bis, ich glaube, 1976 jedem deutschen Gericht vorgesetzt. Ich hatte in meiner Jugend in den 70ern ein diffuses Unwohlsein: Wir haben damals irgendwie davon gewusst, aber es wurde nie thematisiert.

AM: Verändern sich der Literatur- und Kulturbetrieb gerade durch den gesellschaftlichen Rechtsruck?

TM: Ich lebe ja auch in einer Bubble, in der ich bislang noch nicht so viel davon mitbekomme. Aber die Selbstkontrolle, nicht im Kontext des Rechten zu erscheinen, ist geringer geworden. Ein Beispiel: Vor zehn Jahren wurde ich vom Matthes & Seitz Verlag für einen Beitrag im Reader Ernst Jünger im Gegenlicht angefragt. Ich googelte zunächst den Herausgeber Alexander Pschera und stellte fest, dass er ein führender Literaturkritiker der Jungen Freiheit war – was natürlich auch problematisch vom Verlag ist. Ich lehnte daraufhin natürlich ab und kommunizierte das auch unter meinen Bekannten und der einzige, der damals dann auch zurücktrat, war: Uwe Tellkamp. Das Zögern ist geringer geworden, denn heute würde Uwe Tellkamp das Angebot wohl nicht mehr ablehnen.

AM: Kann der Kultur- und Literaturbetrieb überhaupt in wirksamer Weise gegen den Rechtsruck angehen, wo er sich doch auf einer sozial hierarchischen Unterteilung in ‚Hochkultur‘ und ‚niedere Kultur‘ begründet?

TM: Nein – aber ich bin auch schon seit Jahrzehnten dagegen, dass er diese Unterscheidung setzt!

Dann lassen wir das doch als Statement zum Abschluss stehen. Hab vielen Dank für das Gespräch, lieber Thomas.



Angie Martiens: 1991 in Berlin geboren und aufgewachsen. Studium der Germanistik, Politikwissenschaft, Neueren Deutschen Literatur und Tanzwissenschaft mit Fokus auf Gender Studies in Berlin und Stockholm. Bloggt seit 2017 auf Litaffin über Literatur und Kultur, arbeitet an der Freien Universität Berlin und organisiert im akademischen Raum Veranstaltungen zu Fragen von Gender und Diversity.