Im Gespräch mit Manuel Gogos: Wie reden mit Identitären?

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16. Juni 2018Juliane Noßack

Als freier Autor, Kritiker, Ausstellungs- und Filmemacher bewegt Manuel Gogos sich zwischen wissenschaftlicher Essayistik, Hörbildern und Bildsprachen. Bei »Ängst is now a Weltanschauung« berichtet er über Gespräche mit Anhänger_innen der Identitären Bewegung, die er für seine Arte-Dokumentation »Unter Fremden. Auf der Reise zu Europas Neuen Rechten« geführt hat. Im Interview spricht er über diese Begegnungen, über die Chancen der Literaturkonferenz und darüber, wie Ausstellungen einem aufkommenden Rechtspopulismus etwas entgegensetzen können.

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Foto: Sabrina Richmann

Für deine Arte-Dokumentation hast du dich längere Zeit in Deutschland, Österreich und Frankreich unter Identitären aufgehalten. Wie dachtest du vor der Reportage und wie denkst du heute über die Bewegung?

Ich habe den Film zusammen mit meinem Kollegen Jakob Kneser gemacht. Zunächst wussten wir nicht viel. Hatten in Houellebecqs »Unterwerfung« erstmals etwas über diese obskuren »Identitären« gelesen, wussten nicht mal, ob das nicht eine Fiktion ist. Als wir dann wirklich auf sie losgingen, wollten wir sie nicht in eine (rechtsradikale) Ecke stellen, sondern uns ihnen möglichst unbefangen nähren. Aber gerade Arglosigkeit kann im Umgang mit den Identitären verhängnisvoll sein. Darum berichte ich auch weiter über sie, selbst wenn ihnen das immer wieder auch eine Bühne bereitet: Weil es gut ist zu wissen, wen man da vor sich hat.

Wie haben die Anhänger_innen der Bewegung auf dich reagiert?

Fast zuvorkommend. Ich habe gute Gespräche mit ihnen geführt. Waren das jetzt echte menschliche Begegnungen? Oder haben sie mich eingeseift, damit ich entsprechend über sie schreibe? War das Verhalten von ihnen rückhaltlos ehrlich? Oder ein verschlagener Hinterhalt? – Sag Du es mir...!

Wie hast du dich persönlich während dieser Gespräche gefühlt?

Wenn wir über Heideggers Angst-Begriff gefachsimpelt haben, dann verstand man sich, sprach dieselbe »Sprache«. Wenn dann aber immer wieder von ihrem apokalyptischen Lieblingsszenario eines »großen Austauschs« die Rede war – in meinen Augen einer reinen Weltverschwörungstheorie – oder davon, dass heute in multikulturellen Städten jede Fahrt in der U-Bahn zum »Menetekel« wird – dann sträubten sich mir die Haare. Dann fühlte ich mich wie »Unter Fremden«, wie unser Film ja auch heißt.

Unterscheiden sich die Identitären von Land zu Land?

In Frankreich, wo sie ja 2012 entstanden sind, erschienen sie mir radikaler. Wir haben eine Aktion von ihnen gefilmt, da sind sie wie so Stadtindianer nachts durch Paris geschwärmt, haben überall ihre Aufkleber hingeklebt und damit aufgerufen: »Jagt die Islamisten!«. Also, sie behaupten, mit friedlichen Mitteln zu arbeiten, rufen dann aber direkt zur Menschenjagd auf. Und würden am liebsten einen Bürgerkrieg anzetteln. In Österreich sind sie sehr aktiv, in Deutschland versuchen sie, nachzuziehen.

Wo siehst du die Identitäre Bewegung im Vergleich zu anderen Gruppierungen wie bspw. Pegida?

Selbst verstehen sie sich ja als Avantgarde, also als eine Art Vordenker von Pegida. Und man muss sagen, da ist was dran. Wenn man sieht, wie Sellner in Dresden auftritt und das Fußvolk in den Identitären ihre »jungen Helden« sieht – das habe ich dort selbst gehört. Es ist auch bemerkenswert, wie lange ein Götz Kubitschek in seinem Antaios-Verlag schon seine intellektuellen Waffen wetzt. Erik Lehnert, Geschäftsführer des »Instituts für Staatspolitik« in Schnellroda, schreibt heute Reden für einen AfD-Politiker im Bundestag.

Für wie gefährlich schätzt du die Identitäre Bewegung ein?

Man könnte meinen, ihre Diskursinfektion hat funktioniert, angesichts unserer hysterischen Migrationsdebatten hätten sie sich zu Tode gesiegt. Aber, wie gesagt, ich sehe in ihnen nach wie vor den eigentlichen Nukleus der neurechten Bewegung, der hochgradig toxisch ist.

Wie sollte man mit Identitären ins Gespräch gehen?

Wie man in jedes Gespräch geht: Gut vorbereitet, flexibel im Denken und Rollenspiel. Nicht leicht, sie festzunageln. Eine interessante Frage ist immer, worauf ein »metapolitisches« Programm der »Remigration« in konkrete Politik übersetzt eigentlich hinausläuft: Massenhafte Zwangsdeportation? Meinen sie, Jahrzehnte der Einwanderung würden sich rückgängig machen lassen? Wie wirklichkeitsfern ist das? Oder ihre Verschwörungstheorie vom »großen Austausch«, den die Amerikaner angeblich bewusst steuern, um Europa zu schwächen. Und am wichtigsten natürlich ihre Ansicht, dass Migranten an allem Übel in der Welt schuld sind – ohne Migranten würden wir laut den Identitären in einer heilen Welt leben. Mit anderen Worten: Am Ende ist die identitäre Weltanschauung ein Wahnsystem. Aber wie jeder Wahnsinnige denken sie, das wäre die Wirklichkeit.

Du hast an vielen Ausstellungen, welche sich mit dem Thema der Migration befassen, mitgearbeitet bzw. sie kuratiert. Welchen Beitrag leistet diese Art der Kulturarbeit zur Einwanderungsdebatte?

Lange war Deutschland ein Einwanderungsland wider Willen mit Einwanderern wider Willen. Öffentliche Repräsentationen dieser Migrationen – als dem Normalfall der Geschichte – bezeugen dann eine nachholende Anerkennung eben dieser Geschichte der Einwanderung und Gegenwart der Einwanderungsgesellschaft.
Mein Vater war ein griechischer Gastarbeiter der ersten Generation. Diese Geschichten sind ein Fundus, aus dem es zur Sprache drängt. Der damalige Bundespräsident Johannes Rau fragte schon auf dem Historikertag 2002: »Was bedeutet Geschichte als Quelle für Identifikation und Identität in einer Gesellschaft, in der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Kultur zusammenleben? Wie kommt es zu einem ›Wir‹ in einer solchen Gesellschaft?« Das ist es, was mich umtreibt: Wie kommen wir zu einem Wir, das ein- und nicht ausschließt, eint, nicht spaltet? Ich denke wir haben die Wahl, wie bei einer Self-fulfilling-prophecy: Wenn uns Identitäre permanent einbläuen, dass Integration gescheitert sei, dann versuchen sie das Scheitern aktiv zu betreiben. Ebenso umgekehrt: Wer sagt, dass Integration gelingt oder zumindest gelingen kann, trägt zu ihrem Gelingen bei.

Gab es besonderes Feedback zu den Ausstellungen?

Wenn diese Leute, Gastarbeiter und ihre Kinder, oder auch heutige Geflüchtete merken, dass sich jemand für ihre Geschichte interessiert, wenn sie sehen, dass sie vorkommen in Ausstellungen, im Kino, in der Literatur, dann sehen sie, sie sind angekommen, dann kommen sie an.

Sollten die Künste wie auch die Literatur allgemein politischer werden?

Ich komme selbst von der Literatur- und Religionswissenschaft, von den Orchideenfächern. Meine Spezialität sind Kulturfeature. Aber die Arbeit der letzten Monate hat mich auch wachgerüttelt und politisiert. Ich glaube, es geht vielen so, dass sie merken, sie müssen sich jetzt selbst auf die Hinterbeine stellen.

Was erwartest du von der Literaturkonferenz »Ängst is now a Weltanschauung«?

Die neuen Rechten nutzen Sprache als Waffe. Sie sind gut munitioniert. Sprache ist auch unser Werkzeug, anscheinend müssen wir lernen, sie auch als Waffe zu benutzen.

Wie können künstlerische Kollektive dem Rechtsruck entgegenwirken?

Kürzlich habe ich ein Feature über das »Zentrum für politische Schönheit« gemacht. Ihre Höcke-Aktion ist schön durchtrieben. Vielleicht muss unsere ganze Demokratie so militant werden, wenn sie sich ihrer Verächter erwehren will.

Wie muss eine Sprache aussehen, die Diversität unterstützt und verschiedenste Menschen zusammenführt?

Wir wollen eine gemeinsame Sprache finden. Dafür müssen wir den rechten Sprachokkupanten auch manchen Begriff wieder entwinden. Ob das durch martialische Rhetorik der Empörung passiert oder auch ganz leise Töne der Besinnung funktionieren, müssen wir sehen.

Vielen Dank für das Interview, lieber Manuel Gogos!



Juliane Noßack: treibt sich literarisch vielerorts im Netz herum. Seit 2014 bloggt sie über Literatur auf Poesierausch, während ihres Studiums der Angewandten Literaturwissenschaft an der FU Berlin leitete sie Litaffin. Gerade absolviert sie ein Volontariat im Verlagswesen und kümmert sich nebenbei noch um den open mike-Blog.