Fiston Mwanza Mujila lebt in Graz, schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke und unterrichtet afrikanische Literatur an der Uni Graz. 2016 debütierte er bei Zsolnay mit dem Roman „Tram 83“, wofür er unter anderem den Internationalen Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt 2017 erhielt. Im Interview spricht er über seinen Keynote-Text bei ÄNGST IS NOW A WELTANSCHAUUNG und was Sprache und Performance für sein Schreiben bedeuten.

Fiston, als Keynote hast du einen literarischen Text mit dem Titel „JE N’ETAIS PAS NOIR (Monologue d’un ordinaire travailleur de nuit)“ (ICH WAR NICHT SCHWARZ – Selbstgespräche eines gewöhnlichen Nachtarbeiters) performt. Wieso hast du dich dafür entschieden, genau diesen Text zu schreiben?
In Österreich, Deutschland, Frankreich und Belgien sind mir viele junge Afrikaner begegnet, die nicht arbeiten können, weil sie keine Papiere haben und so weiter, und deswegen am Abend oder in der Nacht als Zeitungsverkäufer mit dem Fahrrad unterwegs sind. In Europa glauben manche Leute, dass solche Personen nicht in unser Leben gehören – weil sie nicht wissen, dass die Zeitung, die sie sich täglich ins Haus holen, jemand in der Nacht da hingelegt haben muss. Für mich ist es eine interessante Perspektive, zu fragen, wer welche Rolle in unserer Gesellschaft spielt. Manche lesen Zeitung, manche verkaufen sie und gegenseitig wissen sie aber gar nicht, wer und wo da überall mitgearbeitet wird. Unser gesellschaftliches Zusammenleben ist wie ein Theater, jeder spielt eine Rolle: der Regisseur, die Bühnenbilderin, einige Schauspieler und jemand, der für Kostüm verantwortlich ist.
In deinem Text wendest du das Thema Arbeit auf Körper an. Wo beginnt die Schnittstelle?
Unser Körper spielt in einem Raum eine Rolle und bedeutet damit Identität. In Europa schwarz zu sein, ist etwas sehr Körperliches - auch weil es sehr viele Stereotype und Bilder über Afrika gibt. Deswegen begegnen mir auch hier Zehntausende Begriffe: Afrikaner, Afropolitans, Blacks und so weiter. Wenn ich in Berlin oder Paris unterwegs bin, werde ich als schwarzer Mann oder Afrikaner bezeichnet. Das spielt eben nicht nur für Zuschauer der Situation eine Rolle – sondern auf einer persönlichen Ebene für uns, denn in vielen Bezeichnungen steckt Gewalt.
Du arbeitest mit einer Ich-Perspektive, die variabel ist und sich verwandelt. Warum?
Wenn du in Europa schwarz bist, bist du schwarz. Du kannst Schriftsteller, Künstler, Techniker oder Flüchtling sein – du bist schwarz. Das bedeutet eben auch Identität. Wir sind nicht wirklich schwarz, weil wir gehören in die Welt. Nach ein paar Gesprächen heißt es dann: Dieser Typ ist nicht schwarz, er heißt Fiston. Er ist nicht schwarz, er kommt von irgendwo und hat ein Ziel und so weiter. In Europa vergisst man oft, dass „die Schwarzen“ ein Leben oder Gefühle haben, und auch ich kenne Beschimpfungen; dieses gemeinsame Schicksal wollte ich mit der Ich-Perspektive ausdrücken. Die Frage ist nicht, was mein Problem mit dem Schwarzsein ist – das ist kein Problem und keine Katastrophe. Die Katastrophe sind vielmehr Personen, die nicht verstehen können, dass es Leute gibt, die anders als sie sind oder leben wollen.
In einem Interview mit der Deutschen Welle hast du vor einiger Zeit Literatur als Brücke bezeichnet, die du mit deinem Schreiben zum Beispiel zwischen dem Kongo und Österreich schaffen kannst.
Für Schriftsteller gibt es Fiktion, viel Freiheit und leere Räume, die zulassen, dass man spielen kann – ich kann zum Beispiel versuchen, die Meinung von Minenarbeitern oder Obdachlosen, Deutschen oder Österreichern abzubilden, oder meine Meinung über Österreich sagen – nicht als Politiker, sondern als Schriftsteller. Ich bin unsichtbar, und das ist sehr vorteilhaft und für mich das Wunder der Kunst. Da kann ich versuchen, mit den Grenzen zu spielen und eine Brücke zwischen Österreich und dem Kongo zu bauen; beide sind meine Heimatländer. Den Begriff der Brücke und den des Bauens mag ich, weil es auch mit Materiellem und Körperlichem zu tun hat.
Die zweite Brücke, die du baust, will geschriebenen und gesprochenen Text miteinander verbinden.
Ja, weil ein geschriebener Text sich in einem Gefängnis befindet, aber im Mündlichen gibt’s Möglichkeiten, den Text zu performen: Beim Vortragen kann ich lachen oder weinen oder sonst welche Möglichkeiten nutzen. Wenn ein Text mit Krieg oder Hunger zu tun hat, kann ich ihn nicht traditionell lesen – man muss es spüren. Das kriegt man nur mit Performance hin. Wie ein Jazzmusiker versuche ich zu improvisieren und will Sprache wie ein Saxophon benutzen. Es gibt Improvisation und die Wahrheit der Realität – mit und in diesen zwei Dimensionen will ich arbeiten.
Im selben Interview hast du gesagt: „Dass man alles über Afrika schreiben kann, ist eine Katastrophe.“ Wieso?
Wenn man in den Medien heute über Afrika spricht, geht’s viel um Krieg, Krankheit und Hunger; aber man spricht nicht über das Positive. Wenn man über den Kongo spricht, sagt man beispielsweise nichts über die schöne Landschaft, besondere Tiere oder großartige Flüsse, sondern negative Sachen, weil es eine europäische Erwartungshaltung zu Afrika gibt. Aber über Afrika kann man immer noch alles schreiben. Es bleibt bis heute ein Ort, an dem Träume und Fiktion möglich sind. Die Aufgabe der Literatur ist auch, Afrika richtig abzubilden – zu sagen, dass es Kriege gibt, aber auch was Schönes passiert.
Manchmal auf Französisch, manchmal auf Deutsch: Was bedeutet Sprache für dein Schreiben?
Freiheit, aber auch Gefängnis. Oder Missbrauch und Gewalt. Als wir in Afrika kolonialisiert waren, war es in manchen Kolonien nicht möglich, afrikanische Sprachen zu sprechen, afrikanisches Bier zu trinken oder zu afrikanischer Musik zu tanzen. Sprache kann eben auch große Gewalt bedeuten, zum Beispiel psychische. Jetzt lebe ich in Österreich und schreibe hauptsächlich auf Französisch – und die Sprache ist eine persönliche geworden, die ich auch zu dekolonialisieren versuche. Sprache ist wie ein Fluss: Wir gehen irgendwohin und unser Leben und unsere Identität bleibt nicht gleich. Deswegen hat Sprache für mich eine große Kraft, weil in ihr alles passieren kann.
Was passiert im besten Fall bei ÄNGST IS NOW A WELTANSCHAUUNG?
Die große Frage ist, was Literatur kann. Im Speziellen erwarte ich Träume, Hoffnungen und Utopien. Für mich ist sie wie ein Wecker: Literatur erinnert uns daran, dass wir aufstehen müssen. Wenn nur zwei, drei Leute etwas Neues mitnehmen können, ist das ein großer Erfolg. Hoffnung ist mein Lieblingswort.