Im Gespräch mit b.fleischmann: "NOW oder NOT A WELTANSCHAUUNG - Wie man das W am Ende wieder mit dem T tauschen kann"

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16. Juni 2018Juli Katz

Auf seinem Albumcover von 2008 steht: when the marionettes started to pull the strings, they noticed that stoking fear helps to keep the strings hold tight. but i think: ANGST IS NOT A WELTSCHAUUNG! Darüber spricht Indietronic-Musiker, Komponist und Produzent b.fleischmann im Interview.

Bernhard, die Konferenz, auf der wir grad sind, heißt ÄNGST IS NOW A WELTANSCHAUUNG. Vor ein paar Jahren hast du ein Album mit ähnlichem Titel gemacht: ÄNGST IS NOT A WELTANSCHAUUNG.

Der Titel ist aus einem Buch von Hans Magnus Enzensberger, bei dem ich dieses Zitat gelesen hab, und das war maximal passend für einen Albumtitel – schließlich war es das Jahr 2008, und das Gefühl war zwar nix Neues, aber es wurde mit Angst und Negativstimmung gearbeitet und versucht, die Leute auf eine „vermeintlich sichere“ Seite zu ziehen – das ist aus meiner Perspektive die falsche Prämisse, um die Welt zu gestalten.

NOT A WELTANSCHAUUNG ist jetzt mutiert zu NOW A WELTSCHAUUNG.

Ja, das T ist immer schwächer geworden, das W kräftiger. Das ist die Fortführung einer Tendenz und Politik, die darauf abzielt, als vermeintlicher Sicherheitsgeber durch Verunsicherung an mehr Macht zu kommen: dass Leute mit Angst versorgt werden und dann gesagt wird „Wir beschützen euch schon“. Gerade wenn man sich die extrem rückschrittliche österreichische Bildungspolitik anschaut, wird die Welt möglichst dumm gemacht, um die Leute kleinzuhalten. Warum das so leicht geht, ist mir nicht klar. Vielleicht ist es vielen Leuten wurscht, was um sie herum passiert, Hauptsache, ihnen geht’s gut, oder das tägliche Leben ist zu anstrengend und die Kapazitäten reichen nicht, um nach rechts oder links zu schauen – oder manche sind einfach zu faul dafür, sich für andere zu interessieren. Es ist in jedem Fall eine sehr ekelhaft befremdliche Entwicklung.

Bemerkst du als Künstler in Österreich mehrere solche Allianzen, die gemeinsam an künstlerischen Strategien gegen rechts arbeiten?

Auf meinem Album „Welcome Tourist“ aus dem Jahr 2003 gibt’s einen Song, der 02/00 heißt; der entstand, als im Februar 2000 erstmals eine schwarz-blaue Regierung auftrat. Da hat sich eine Gruppe namens Electronic Resistance zusammengetan – mit Musikerinnen und Musikern aller Spielarten, die sich vernetzt haben, um gemeinsam Veranstaltungen zu organisieren und gegen die angelobte Regierung zu protestieren auf dem Wiener Heldenplatz, einem geschichtlich nicht ganz irrelevanten Ort. In meinem Song wird Henry David Thoreau vertont...

... und zwar mit folgenden Worten aus seinem EssayÜber die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“: „Ich habe mir den Wahlspruch zu eigen gemacht: »Die beste Regierung ist die, welche am wenigsten regiert«; und ich sähe gerne, wenn schneller und gründlicher nach ihm gehandelt würde. Wenn er verwirklicht wird, dann läuft es auf dies hinaus — und daran glaube ich auch: »Die beste Regierung ist die, welche gar nicht regiert«; und wenn die Menschen einmal reif dafür sein werden, wird dies die Form ihrer Regierung sein. Eine Regierung ist bestenfalls ein nützliches Instrument; aber die meisten Regierungen sind immer – und alle sind manchmal – unnütz.

Genau. Und damit hab ich die Hofburg beschallt. Leider hört es nicht auf, dass man das spielen muss. Aber ich kann sagen, dass es in Wien vermehrte Vernetzung gibt. Nicht nur zur Selbstberuhigung oder -beweihräucherung, sondern auch an Orten, die solche Musik sonst nicht zu Ohren bekommen.

Wieso findest du grad Thoreau so spannend?

Er hat ein Statement gegen die amerikanischen Interventionen in Mexiko geschrieben, die sehr schöne und jetzt noch gültige Anmerkungen zu Staat und Militär beinhalten – und wurde tatsächlich mal verhaftet, weil er seine Steuer nicht zu 100 Prozent bezahlt hat: Er wollte nicht, dass mit seinem Steuergeld Kriege und Waffen finanziert werden. Solche Formen des zivilen Ungehorsams finde ich ansprechend – besonders gegenüber Regierungen, die so dermaßen gegen den persönlichen Moralkodex verstoßen. Das war damals schon über 100 Jahre alt und ist trotzdem so ekelhaft aktuell, dass ich es vertonen musste und gesprochen haben wollte.

Also würdest du dich als politischen Künstler bezeichnen?

Wahrscheinlich ja, wobei ich nicht abschätzen kann, wie stark das in der Wahrnehmung rüberkommt. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen sagen, Politik solle Politik sein und ihnen gehe es eher um ihre Kunst – und klar ist es wichtig, auch mal nicht dran zu denken und den Moment zu genießen. Aber auf Dauer wär es mir zu wenig, in der Seifenblase der Kunst und im Sicherheitshamsterrad stecken zu bleiben. Für mich funktioniert das nicht – ob das eine künstlerische Sache ist, kann ich nicht sagen. Wenn du als Bäckerin oder Bäcker politisch bist, bringst du deine 300 Semmeln ins Asylheim nebenan. Und ich versuche was Ähnliches – mit künstlerischen Mitteln.

Wie geht die Konferenz im Idealfall aus, denkst du?

Im Idealfall hat man am Ende mehr Ideen, wie man das W wieder mit dem T tauschen kann.



Juli Katz: studierte kreatives schreiben & kulturjournalismus in hildesheim sowie angewandte literaturwissenschaften in berlin. als teil der künstlerischen leitung der literaturzeitschrift BELLA triste konzipierte sie 2014 PROSANOVA, ein festival für junge gegenwartsliteratur. momentan macht sie irgendwas.